Der Zeuge
Gottes Hilfe habe ich erfahren
bis zum heutigen Tag
und stehe nun hier und bin sein Zeuge.
Apostelgeschichte 26,22
Das Justizdrama ist eine eigene Gattung von Romanen und Spielfilmen, in denen es um Gerichtsverhandlungen geht. Besonders das amerikanische Rechtssystem eignet sich dazu, weil die Geschworenen von der Anklage oder der Verteidigung im spannenden Hin und Her zwischen Rechtslage und Rechtsempfindung für ein Urteil gewonnen müssen. Auch in Deutschland gibt es eine treue Fangemeinde von Anwaltsserien, die einen den Vorabend etwas kurzweiliger gestalten sollen. Inwiefern sie tatsächlich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, kann ich nicht beurteilen. Ich bin weder Jurist noch habe ich diese Serien gesehen.
Unser Monatsvers findet sich auch in einem Gerichtsfall. Um den Zusammenhang zu verstehen, müsste man den letzten Teil der Apostelgeschichte lesen, die Kapitel 21 bis 28. Nach der dritten so genannten Missionsreise (Apostelgeschichte 18,23-21,17) kommt Paulus nach Jerusalem (Apg 18,24), wird dort von den jüdischen Religionsverantwortlichen gefoltert und verklagt. Als es zu gefährlich wird, beruft sich Paulus auf sein römisches Bürgerrecht (Apg 22,25-29). Ein römischer Bürger hatte das Recht auf ein ordentliches Verfahren. Von da an nehmen die Verwicklungen ihren Lauf, Paulus kommt nicht mehr frei und will vor den Kaiser in Rom gebracht werden (Apg 25,10-12). Es gibt dramatische Reden in einer Gerichtsverhandlung, und Paulus wäre freigekommen, hätte er sich nicht auf den Kaiser berufen (Apg 26,30-32). Doch so wird er nach Rom überstellt und lebt dort eine gewisse Zeit als Gefangener in einem eher offenen Vollzug (Apg 28,30-31).
Und damit endet in der Bibel die Schilderung der Lebensgeschichte von Paulus. Das würde sich dann doch nicht als Vorlage für ein Gerichtsdrama eignen. Denn wir Leser erfahren nicht, wie der Prozess ausgegangen ist. Es gibt spätere außerbiblische Schriften, nach denen er unter Kaiser Nero um 68 n. Chr. umgebracht wurde. Das sind aber letztlich Vermutungen. Die Apostelgeschichte endet mit den Worten „Er verkündete das Reich Gottes und lehrte über Jesus Christus, den Herrn – mit allem Freimut, ungehindert.“
Und sie macht damit deutlich, worum es ihr eigentlich geht: die ungehinderte Verkündigung des Evangeliums. Sie will keine christliche Heldengeschichte erzählen – weder von Petrus oder Stephanus noch von Paulus. Sondern sie alle waren von Jesus Christus berufen, das Reich Gottes auszubreiten.
In unserem Monatsvers betont Paulus, dass er sich als (Augen)Zeuge Gottes versteht. Was er verkündet, sind nicht nur interessante Beiträge zum religiösen Dialog. Sondern er bezeugt zuerst seine Schlüsselerfahrung, als er Jesus als dem Auferstandenen persönlich begegnet ist. Die war so wichtig, dass wir diesen Bericht gleich drei Mal in der Apostelgeschichte erzählt bekommen (9,1-22; 22,3-21; 26,1-20). Diese Begegnung („Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?“ 1. Korinther 9,1) war für ihn Berufung und Bevollmächtigung zugleich (siehe Galater 1,11-17).
Nun stehen wir nicht in der Versuchung, uns mit Paulus zu vergleichen. Der ist in allem sicher eine Nummer zu groß für uns. Doch eine kleine Übertragung in unser Leben möchte ich an dieser Stelle wagen. Wie Paulus wollen/sollen wir als NachfolgerInnen Jesu Zeugen Gottes sein. Was bezeugen wir da eigentlich – zum Beispiel im Zusammenhang mit Alpha im Herbst 2025? Ohne Frage hat Paulus geistgeleitet reichlich wichtige Theologie produziert, aber letztlich geht alles auf diese eine Begegnung mit dem Auferstandenen zurück. Auch wenn wir seine tiefen Erkenntnisse mitunter nur mit Mühe bis gar nicht nachvollziehen können, darin sind wir doch eins mit ihm: auch wir bezeugen zuerst und grundlegend Jesus als den Auferstandenen, der uns persönlich begegnet ist, in uns Glauben geweckt hat und unser Leben in Liebe begleitet und verändert.
Solche ZeugInnen werden auch heute benötigt. Unsere Mitmenschen brauchen niemanden, der ihnen eine neue Lehre auftischt oder für etwas Werbung macht. Gesucht werden Menschen, die sich aus der Begegnung mit Jesus zu einem Leben in der Liebe Gottes bewegen lassen.
Axel Schlüter