Recht und Unabhängigkeit – ein Wegweiser

Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen,
wenn sie im Unrecht ist.
2. Mose 23,2

Unser Monatsvers ist einem längeren Abschnitt entnommen, in dem es um die Recht­sprechung im alten Israel geht. Es lohnt sich, den größeren Zusammenhang in 2. Mose 23,1-9 mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier wollen wir uns auf die ersten drei Verse beschränken: Du sollst kein haltloses Gerücht verbreiten. Dem, der im Unrecht ist, sollst du nicht beistehen. Du sollst als Zeuge nicht abstrei­ten, dass jemand Gewalt ausgeübt hat. Du sollst dich nicht der Mehrheit anschlie­ßen, die das Böse will. Du sollst in einem Rechtsstreit nicht so aussagen, dass du der Mehrheit folgst und das Recht beugst. Einen Schwachen sollst du im Rechtsstreit nicht bevorzugen.

Das sind erstaunlich ausgewogene Anweisungen für eine Gesellschaft, in der das Recht des Stärkeren oder der Zusam­menhalt der Sippe das Leben bestimmt hat. Wenn ich diese Verse als Lebensregeln auf uns beziehe: Wer sich so verhält, muss innerlich und äußerlich sehr unab­hängig sein. Wir sollen uns nicht dem Druck der Mehrheit beugen, nicht den Mächtigen einfach Recht geben und auch nicht die Geringen bevor­zugen. Es scheint, als wenn die Rechtsprechung eine ganz von Men­schen unabhängige, objektive und neutrale Sache sein soll.

Ich greife nur den Anfang heraus. Warum sind Gerüchte eigentlich so schädlich? Denn Klatsch und Tratsch machen doch erstmal mäch­tig Spaß. „Hast du schon gehört?“ Die fromme Version wird mitunter als Gebetsanliegen ge­tarnt. „Wir sollten für Bruder Soundso beten, denn der hat gerade wegen Alkohol am Steuer seinen Führerschein verloren.“ Was macht aus einer Information ein Gerücht? Nun ja, zuerst geht es um die Faktentreue. Woher weiß ich etwas und wie genau bin ich informiert? Ist es nur aus zweiter oder dritter Hand? Oder habe ich mit den Betroffenen persönlich gesprochen?

Doch dann ist fast noch wichtiger die Moti­vation, warum ich es unbedingt weiter­erzählen muss. Ohne die Tatsachen so genau geprüft zu haben. Manches passt einfach viel zu gut in das Bild, das ich von jemandem habe. „Ich habe es doch schon immer gewusst.“ – „Wo Rauch ist, wird doch auch Feuer sein.“ Oder es ist sehr brauchbar in einer Angelegenheit, die ich gerne voranbringen möchte. Um Leute in einem Kon­flikt auf meine Seite zu ziehen. „Ja, wenn das so ist, dann wissen wir, wie wir uns zu verhalten haben.“

Du sollst kein leeres Gerücht verbreiten. Wie sehr das richtig ist, mer­ken wir spätes­tens dann, wenn über uns selbst Gerüchte in Umlauf gebracht werden. Gerne wollen wir etwas erklären oder richtig­stellen. Aber Gerüchte sind nicht einzufangen. Da findet man keinen Hebel, um anzusetzen. Und mitunter geht eine Rechtfertigung nach hinten los; denn es gilt ja: Wer sich verteidigt, klagt sich an.

In der Gemeinde geht es zwar nicht um Rechtsprechung, aber urteilen und verurteilen spielen leider viel zu oft eine große Rolle. Wir sind dazu gerufen, unsere Sprache so zu wählen, dass sie dem entspricht, was wir in Christus sind: Kein böses Wort soll über eure Lippen kommen. Vielmehr sollt ihr stets ein gutes Wort haben, um jemanden zu stärken, wenn es nötig ist. Dann bringt dieses Wort denen Segen, die es hören. (Epheser 4,29) Oder wer es etwas ausführlicher gesagt bekommen möchte, sollte mal Jakobus 3,1-12 nachlesen.

Bei allem nötigen Diskutieren und mitunter auch Streiten wollen wir auf die Sprache achten, dass sie ermutigt und die Einheit sucht. Und wir überprüfen unsere Motivation und die Fakten, bevor wir eine Information an andere weiter­geben. Dann brauchen wir vor Meinungsver­schiedenheiten keine Angst zu haben.

Axel Schlüter