Besser kennt Gott, wer ihn nicht zu kennen bekennt
Bin ich nur ein Gott, der nahe ist,
spricht der HERR,
und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
Jeremia 23,23 (Monatsvers)
Wenn ich noch einmal die Aufzeichnung von unseren Gottesdiensten auf YouTube ansehen will, erscheinen rechts neben dem Video zahlreiche Vorschläge. Und da ich ohne Anmeldung und meistens anonym (per VPN) die Seite aufsuche, werden diese Vorschläge allein von Googles Algorithmus erstellt: Was andere gesehen haben, was thematisch passt, was viele Klicks hat usw.
Und so bin ich immer wieder schockiert, was sich da alles ansammelt. Gottesdienste und Predigten von eher extremer Natur. Irgendwelche rechtsradikale Verschwörungsvideos. Unheilspropheten mehr aus rechter als linker Ecke. Keine Ahnung, wie das zustande kommt. Aber es beunruhigt mich doch, dass ganz seriöse Gottesdienste wie unserer irgendwie mit solchen Auswüchsen in Verbindung gebracht werden. Da gehören wir nun wirklich nicht hin. Und ich hoffe sehr, dass die Besucher unserer Videos nicht zu sehr in Versuchung geführt werden, sich diesen Müll anzusehen. Ich kenne diese Versuchung jedenfalls von mir selbst. Es ist so wie im Stau auf der Autobahn: Man will eigentlich zügig an der Unfallstelle vorbeifahren, muss aber trotzdem neugierig hinschauen, was passiert ist.
Unser Monatsvers ist aus einem ganz ähnlichen Zusammenhang. Ich empfehle, erst einmal Jeremia 23,16-24 zu lesen. Es geht um die große Frage, wer wirklich im Namen Gottes etwas zu sagen hat. Auf der einen Seite steht Jeremia, der von Gott her Unheil anzusagen hat. (Was ja dann 597 v. Chr. auch so gekommen ist mit dem babylonischen Exil.) Und auf der anderen Seite sind da die Berufspropheten, die den Leuten das sagen, was sie gerne hören wollen: Friede und Heil sind euch sicher!
Nun ist es immer etwas schwierig mit den Zukunftsansagen. Wer letztlich richtig gelegen hat, erweist sich erst im Nachhinein. Das wird im Alten Testament als Kriterium für die wahren Propheten genannt, siehe 5. Mose 18,22 oder Jeremia 28,9. Wenn sich das erfüllt, was der Prophet angesagt hat, dann hat er auch tatsächlich im Namen Gottes gesprochen. Das wirkliche Wort Gottes erweist sich als wirkmächtig, siehe Jeremia 23,29 – etwas später im Kapitel von unserem Monatsvers.
Hilft uns das im Umgang mit aktuellen „Prophetien“, die ja in der Regel negativ sind? Nicht nur in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft geht es überall bergab. Was wird auch alles über Christen, Gemeinden oder Kirchen in dunkelsten Farben an die Wand gemalt! Untergang, wohin man schaut. Der einzige – und doch wohl von den Predigern beabsichtigte – Trost liegt darin, dass die Bösen und Falschen immer die anderen sind. Man selbst gehört zu den wenigen wahren Frommen.
Also noch einmal gefragt: Hilft das Wort von Jeremia, ein echtes Gotteswort von den falschen zu unterscheiden, wenn wir doch so wenig die Zukunft kennen? Heute müssen wir entscheiden, was wir glauben wollen – das Morgen ist uns noch verschlossen. Ich finde einen kleinen Hinweis in den Versen 23 und 24: Drei Fragen stellt Jeremia, die alle auf die Unverfügbarkeit Gottes hinauslaufen. Wer wirklich von Gott etwas zu sagen hat, der sagt nicht nur das, was seinem eigenen Gottesbild entspricht. Gott ist und bleibt noch einmal ganz anders, als wir es gerne hätten. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
Das hilft mir, die vielen unterschiedlichen Stimmen und Meinungen zu sortieren. Wer ganz genau weiß, was Gott will und wie die Bibel zu verstehen ist und wie die böse Welt funktioniert, macht sich für mich verdächtig. Wenn jemand zum Beispiel von den „Sieben Prinzipien der wahren Jüngerschaft“ spricht, leuchtet bei mir das rote Lämpchen auf: Gott ist kein Prinzipienreiter; ich kann Jesus vielleicht auch noch ganz anders nachfolgen.
Unser Monatsvers ermutigt uns, Gott nicht zu sehr in unsere Vorstellungen einzuschließen. Gott ist immer auch der ganz Andere. Er bleibt für uns unverfügbar. Wir dürfen mit seiner Gegenwart und seinem Reden rechnen, ohne Frage. Aber wir dürfen ihn nicht berechnen und in unser System einbauen.
Axel Schlüter