Geist statt Faust

Einer trage des andern Last,
so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

(Galater 6,2)

„Edel sei der Mensch, hülfreich und gut!“ so dichtete einst Herr Goethe in seiner Hymne „Das Göttliche“. Zwar wissen wir nicht mehr so recht, was ‚edel‘ bedeuten soll. Aber hilfreich und gut zu sein, das ist so etwas wie ein inneres Gesetz für alle menschenfreundlichen Leute. Die meisten von uns wollen ja nicht nur für sich selber leben, sondern durchaus anderen helfen und ihnen Gutes tun. Und wenn jemand so sehr für andere lebt, dass sie/er dafür auch persönliche Nachteile in Kauf nimmt, dann nennt man das „altruistisches Verhalten“. Und das kann mitunter sogar übertrieben und krankhaft werden. Aber grundsätzlich und im gesunden Maß wollen wir das und erwarten es auch von anderen: Sei hilfreich und gut!

Etwas früher als der Herr Goethe hat schon Bruder Paulus davon geschrieben, dass es diesen inneren Wunsch in uns Menschen gibt, das Gute zu tun. Als frommer Jude findet er das Gute nicht in einer humanistischen Idee, sondern in der Tora, im Gesetz Gottes (Römer 7,12 Das Gesetz ist heilig und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.). Als realistischer Mensch erlebt er sich aber in einem inneren Konflikt, den er aus eigener Kraft nicht lösen kann. Davon schreibt er in Römer 7,15-24. Er will von Herzen das Gute tun („sei hilfreich und gut!“), muss aber leider immer wieder feststellen, dass es nicht gelingt: Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich.

Nun kann man einwenden, dass Paulus doch eine sehr negative Sicht von sich und damit von uns Menschen hat. Ganz so schlecht und unvermögend zum Guten sind wir nun doch nicht! Ich vermute mal, dass Paulus das in einem Bibelgespräch über diesen Text auch zugegeben hätte. Er geht nicht davon aus, dass alle Menschen immer nur das Böse tun, obwohl sie doch eigentlich etwas Gutes bewirken wollen. Paulus gehört nicht zu den Bibellehrern, die den Satz „das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an“ (1. Mose 8,21) zum Generalschlüssel machen, um allen Menschen immer schlechte Motive und Taten zu unterstellen.

Sondern Paulus hätte vielleicht so argumentiert: Natürlich weiß ich von den vielen Menschen, mit denen ich meinen Alltag verbringe, dass sie nicht nur Gutes wollen, sondern auch viel Gutes füreinander tun. Nehmen wir zum Beispiel Eltern, die sich aufopfernd um ihre Kinder kümmern. Es wäre doch Unsinn, ihnen vorzuwerfen, sie würden es aus purem Egoismus tun. Nein, mir geht es darum, ob ich aus eigener Kraft so leben kann, dass es Gottes Maßstäben entspricht. Wenn jemand meint, mit seinen guten Taten Gott beeindrucken zu können, muss ich leider sagen: Das klappt nicht. Denn dann genügt es tatsächlich, dass du auch nur hin und wieder Böses tust. Deswegen schildere ich in diesem Text das Dilemma von uns (frommen) Menschen: Wir wollen gerne durchweg immer so leben, dass es Gottes gutem Willen mit uns und unseren Mitmenschen und unserer Welt entspricht. Und ehrlicherweise müssen wir zugeben, dass es nicht gelingt.

Dichterfürst Goethe lässt Engelswesen am Ende in Faust II zu diesem Dilemma sagen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Also der Versuch und die Haltung zählt, bei der Umsetzung – da schauen wir nicht mehr so genau hin. Paulus ist wesentlich radikaler – in seiner Forderung und in der Lösung. Denn er findet die (Er-)Lösung nicht im tatkräftigen Bemühen von uns Menschen, sondern in der Wirklichkeit des Heiligen Geistes. Wer sich in Paulus‘ Seufzer von Römer 7 wiederfindet, sollte unbedingt auch Römer 8 lesen. Dort stellt Paulus klar: Was wir aus eigener Kraft nicht können, hat Gott in Jesus Christus für uns getan. Und auf dieser Basis können wir ein neues Leben im Heiligen Geist führen. Der macht möglich, dass wir inmitten unserer Grenzen das Gute von Gott her nicht nur erkennen und wollen, sondern auch tun können. Weil wir eben nicht mehr aus eigener „faustischer“ Kraft leben, sondern aus der Kraft Gottes. Ein riesiger Unterschied!

Und damit komme ich dann tatsächlich noch zu unserem Wochenvers (siehe den Zusammenhang Galater 6,1-10). Diese gerade geschilderte Haltung soll unseren Umgang miteinander in der Gemeinde prägen. Das Gesetz Christi ist genau dieser gute Wille Gottes. Er gilt uns selbst, unseren Mitgeschwister in der Gemeinde und darüber hinaus allen Mitmenschen. Wir tragen einander die Lasten, die sich aus unserem Unvermögen ergeben (V.1). Wir tun es in der realistischen Selbsteinschätzung, dass wir alle in einem Boot sitzen, weil wir alle auf die Kraft des Heiligen Geistes angewiesen sind: Wer auf den Boden seiner selbstsüchtigen Natur sät, wird von seiner Selbstsucht das Verderben ernten. Aber wer auf den Boden von Gottes Geist sät, wird von diesem Geist das ewige Leben ernten. (Galater 6,8) Die Kraft des Heiligen Geistes soll die Basis für unser „sei hilfreich und gut“ sein.

Axel Schlüter