In der Fremdheit wohnt der Geist

Mir aber hat Gott gezeigt,
dass man keinen Menschen
unheilig oder unrein nennen darf.
Apostelgeschichte 10,28

Das ist dir sicher auch schon passiert: Da gibt es auf der Autobahn einen Stau, man quält sich über Kilometer im Schritttempo voran – nur um schließlich festzustellen, dass der Unfall auf der Gegenspur stattgefunden hatte. Der eigene Stau kommt durch die Gaffer zustande. Und während man sich noch innerlich darüber ereifert, ertappt man sich dabei, auch nur mal kurz hinüberschauen zu müssen, ob man denn etwas vom Unfallhergang erkennen kann. Und man verzögert leicht die Geschwindigkeit.

Es gibt so eine Lust am Horror, am Blick in den Abgrund, ins Angesicht des Bösen. Als Donald Trump zum zweiten Mal gewählt wurde, habe ich erst einmal alle säkularen Nachrichtenfeeds, die mich übers Weltgeschehen informieren, bis auf die allernötigsten (Tagesschau) abbestellt. Grundsätzlich versuche ich ja, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und so wollte ich mir nicht mehr durch diesen rücksichtslosen Narzissten und seine gefügigen Mitstreiter den Tag vermiesen lassen. Mittlerweile muss ich eingestehen, dass dieses Vorhaben nur zum Teil gelungen ist. Es ist einfach zu irre, was da täglich aus Amerika herüberschwappt.

Nun ist das nicht nur ein Verrückter, der dummerweise die Macht bekommen hat, frei von Ehrlichkeit, Anstand, Mitmenschlichkeit oder Vernunft am Rad zu drehen. Sondern seine so genannte „Politik“ hat ganz massive Folgen für die Menschen weltweit. Ein paar wenige Reiche profitieren davon und fördern sie entsprechend. Und unzählige Leute leiden, ihre Not wird größer und lebensbedrohlich bis hin zum Tod durch Hunger oder Krieg. Eine furchterregende Veranschaulichung von Markus 10,42.

Am meisten erschüttert mich, dass die weißen rechtsevangelikalen Christen nach wie vor geschlossen diese Politik unterstützen – und dabei vieles über Bord werfen, was eigentlich von biblischen Maßstäben her an reiner Mitmenschlichkeit selbstverständlich wäre. Eine wichtige Motivation besteht für sie darin, gegen alles zu sein, was „woke“ genannt wird. Dieser konservative Nationalismus fühlt sich bedroht – durch Fremde, Frauen und queere Menschen. Alle, die nicht in diese hetero-männliche Norm passen, müssen rücksichtslos bekämpft werden.

Und damit kommen wir nun endlich zu unserem Bibelwort aus der Apostelgeschichte. Ich empfehle sehr, erst einmal die Kapitel 10 und 11 in Ruhe zu lesen. Allein vom Umfang her und den ständigen inhaltlichen Wiederholungen wird deutlich, wie wichtig dieses Thema für die junge Gemeinde war. Sie hatte ihren Ursprung im Judentum und musste jetzt einen Weg finden, wie sie mit diesem Erbe umgeht.

Es gab drei Möglichkeiten: Die Gemeinde Jesu bleibt sozusagen eine jüdische Untergruppe, eine messianische „Sekte“. Oder alle Brücken werden abgerissen, man will mit den Juden nichts mehr zu tun haben, das „Christentum“ wird zu einer römisch-nichtjüdischen Religion.

Wie wir wissen, hat man sich für einen Mittelweg entschieden: Die jüdische Bibel (unser „Altes Testament“) wird als die Heilige Schrift beibehalten und man sucht einen neuen gemeinsamen Weg. Wie spannungsvoll dieser Weg war, zeigt nicht nur unser Bibelwort, sondern die vielen Auseinandersetzungen vor allem in den Briefen des Paulus. Und seitdem gab es immer wieder Zeiten der Veränderung, wo sich die Gemeinde Jesu auf einen neuen Weg machen musste, wenn sie sich den Menschen zuwenden wollte.

Ich finde das faszinierend an unserem Glauben: Gott zeigt auch uns, wie wir den Menschen begegnen sollen, die so anders sind als wir selbst. Der Heilige Geist befähigt uns, über unseren eigenen Schatten zu springen. Das fällt uns mitunter nicht leicht, aber die Liebe Gottes bewegt uns. Petrus hätte mit lauter Stimme und echter Überzeugung sagen können: In der Bibel steht aber! Doch der Heilige Geist hat ihm unmittelbar Gottes prophetisches Wort für den Moment offenbart: Du darfst keinen Menschen unheilig oder unrein nennen!

Es ist ganz menschlich-natürlich, dass wir Fremdes und Ungewohntes erst einmal ablehnen. Es verunsichert uns. Wir lieben das, was wir bereits gut kennen. Und das betrifft auch unsere Mitmenschen. Und deshalb ruft uns Gott zu:
Du sollst keinen Menschen ablehnen, nur weil er anders ist als du!

Axel Schlüter