Mut zur Demut
Gott widersteht den Hochmütigen,
aber den Demütigen gibt er Gnade.
(1. Petrus 5,5b)
„An Demut macht mir keiner was vor!“ „Ich bin der Demütigste von allen!“ – Ich vermute mal oder hoffe jedenfalls, dass es dir sehr eigenartig vorkommen würde, wenn jemand so etwas ernsthaft behaupten würde. Das kann man vielleicht im Spaß sagen, weil jedem klar ist, dass solche Aussagen nicht funktionieren. Wer wirklich demütig ist, würde noch nicht einmal auf die Idee kommen, so etwas von sich zu geben. Und wer es tatsächlich so meinen sollte, der hat sich schon als hochmütig entlarvt. Dank des amerikanischen Wahlkampfs haben wir gelernt, dass so eine Person als „weird“ bezeichnet werden kann – als seltsam, sonderbar, bizzar.
Wenn wir unseren Wochenvers lesen, dann werden wir ihm – davon gehe ich aus – vorbehaltlos zustimmen. Wir möchten gerne in der Gnade Gottes leben und ihn nicht als unseren Feind haben. Deshalb wollen wir nicht hochmütig sein, sondern demütig. Wollen wir. Doch was könnte damit eigentlich gemeint sein? Es ist ja so schwer zu fassen. Wie so oft hilft ein Blick in den Zusammenhang weiter: Alle aber begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt Stolzen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist! Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch! (1. Petrus 5,5b-7)
Demut beschreibt weniger eine Charaktereigenschaft, sondern eher ein Bewusstsein. Ich bin mir über meine Stellung vor Gott, oder besser unter Gott bewusst. Und daraus erwächst meine Haltung zu meinen Mitmenschen. Ich habe eine schöne Beschreibung gefunden: „Demut im Sinne der Bibel und der christlichen Tradition ist die gesunde, rechte Grundhaltung des Menschen für sein Zusammenleben mit anderen und gegenüber Gott, seinem Schöpfer. »Demut ist die dem Menschen eigentümliche Würde vor Gott.« (Gertrud von le Fort). Der Demütige ist Realist, das heißt er ist der Wahrheit verpflichtet und macht sich nichts vor: Er weiß um seinen Wert und seine Einmaligkeit vor Gott, gleichzeitig um seine Vergänglichkeit und Begrenztheit. Er kann sich selbst mit seinen Licht- und Schattenseiten annehmen. Die gleiche Haltung nimmt er gegenüber seinen Mitmenschen an. Er ist frei von Arroganz und Verurteilung des anderen, denn er weiß: Meine Fähigkeiten und Tugenden sind Geschenk Gottes. So ist der Demütige immer auch ein dankbarer Mensch.“ (Pater Damian Meyer in der Wochenzeitschrift Tag des Herrn; der ganze Artikel lohnt sich.)
Demütige sind also keine unterwürfigen Kriecher, die den letzten Funken Selbstachtung verloren haben. Sondern Demütige sind Sowohl-als-auch-Menschen. Sowohl: Ich weiß, dass ich nicht Gott bin, sondern ganz und gar auf ihn angewiesen. Ich will eben nicht in die Falle der Grundsünde des Menschen hineintappen: Ihr werdet sein wie Gott! (1. Mose 3,5) Oder anders gesagt: Es gibt einen Gott – und ich bin es nicht. In dieser Aufforderung steckt die ganze Abhängigkeit: Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch! Jedes Mal, wenn ich eine Sorge an Gott abgebe, akzeptiere ich diese Wahrheit und versuche, sie in meinen Alltag umzusetzen.
Foto: © Lisa Rienermann (Religion für Einsteiger) |
Als auch: Meine Würde, meine Ehre muss ich mir nicht hochmütig in Abgrenzung gegen Gott und Menschen erarbeiten, sondern sie liegt eben in dieser Verbundenheit mit Gott. Wir haben eine Gottebenbildlichkeit (1. Mose 1,27; 1. Mose 9,6), die uns nicht von Gott löst, sondern uns umso mehr an ihn bindet: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit. (Psalm 8,5-6) Diese Würde, die in Gott gegründet ist, macht uns frei zu gegenseitiger Demut. Das deutsche Wort beschreibt ursprünglich die „Gesinnung eines Dienenden“, was durchaus die richtige Haltung innerhalb der Gemeinde auf den Punkt bringt:
Da rief Jesus seine Jünger zu sich und sagte:
Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Matthäus 20,25-28)
Demut ist also eine Haltung, die sich im richtigen Tun äußert. Demut ist Mut zum Dienen.
Man kann demütig tun oder mutig dienen.
Viele sind zurzeit in den Ferien, da wünschen wir Gottes Segen und Bewahrung! Vielleicht ist besonders der Mut zum Nichtstun angesagt. Einige stellen sicher, dass unsere Gottesdienste und das eine oder andere Treffen über die Woche dennoch funktionieren. Da braucht es den Mut zum Dienen einmal mehr. Ob hier vor Ort oder in der weiten Welt: Ich wünsche dir/euch eine gesegnete Woche!
Axel Schlüter