Sorgen-Weitwurf
Alle eure Sorge werft auf ihn;
denn er kümmert sich um euch.
(1. Petrus 5,7)
Unseren Wochenvers werden manche eher in der Lutherversion auswendig können: Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. (1. Petrus 5,7) Ich wähle aber die Einheitsübersetzung, weil sie den ursprünglichen Wortlaut etwas besser wiedergibt.
Doch zunächst machen wir uns den Zusammenhang in 1. Petrus 5 bewusst: Wir lesen eine Sammlung von Hinweisen, Tipps und Ermahnungen an die Gemeinde zum Abschluss des Briefes. Unser Vers beendet das Thema „Demut“ (siehe auch die „Inspirationen“ vom 11. August), das von Vers 5b an dran ist: Alle aber begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt Stolzen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist! Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch! Wenn wir unsere Sorgen an Gott abgeben, dann ist das ein Zeichen der Demut. Wir anerkennen damit, dass wir auf Gott angewiesen sind, um unser Leben überhaupt führen zu können.
Und dann lohnt sich wieder ein genauerer Blick auf unseren Wochenvers beziehungsweise ein Vergleich verschiedener Übersetzungen: Der Imperativ, die Aufforderung von „werfen“ hat im griechischen Original eine interessante Verbform. Man kann sie auch übersetzen mit: Indem ihr alle eure Sorge auf ihn werft! (so die Elberfelder oder zwei klassische Englische Übersetzungen 1. Petrus 5,7). Das würde bedeuten, dass wir uns unter Gottes mächtige Hand demütigen, indem wir unsere Sorgen an ihn abgeben. Eine spannende Erkenntnis. Hochmut bedeutet: „Ich komme alleine zurecht, habe mein Leben selbst in der Hand, brauche sonst niemanden.“ Demut nennt sich das Eingeständnis: „Ich bin grundsätzlich auf Gottes Fürsorge angewiesen. Ich muss mich Gott anvertrauen, sonst gelingt mein Leben nicht.“
Wenn der Zusammenhang von unserem Wochenvers also klar ist, können wir noch eine Tiefenbohrung versuchen. Das griechische Wort für Sorge als Substantiv, Hauptwort kommt sehr selten in der Bibel vor: beim Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld (Matthäus 13,22, Markus 4,19, Lukas 8,14) und bei Jesu Endzeitrede (Lukas 21,34) geht es um die Lebenssorge, die Sorge ums Dasein, um den Alltag. Und in 2. Korinther 11,28 nennt Paulus die Sorge um die Gemeinden, die ihn belastet. In allen Bibelworten ist deutlich, dass diese Sorge negativ verstanden wird. Diese Sorge führt von Gott weg, ist eine Belastung, schenkt keine Freiheit, ist definitiv nicht gut.
Wir alle wissen, wie sehr Sorgen das Leben belasten. Die „Sorge ums Dasein“ hört sich groß an, kommt aber in der Regel gar nicht so groß daher. Natürlich gibt es gewichtige Sorgen, wenn es um weitreichende Lebensentscheidungen geht. Aber schon die Sorge, ob ich es am nächsten Morgen rechtzeitig zur S-Bahn schaffe, damit ich den Anschluss am Hauptbahnhof erwische, kann für eine schlaflose Nacht sorgen. Ist ja eigentlich nicht der Sorge wert. Oder die Sorge um liebe Menschen, ob jung, ob alt, kann einen ganz schön belasten. Und je weniger man tun kann, desto mehr dreht sich die Sorge in den Gedanken im Kreis.
Und nun sollen wir die Sorge – hier übrigens in der Einzahl, diese eine konkrete Sorge – auf Gott werfen. Vielleicht siehst du jetzt jemanden vor deinem inneren Auge, der mit viel Kraft einen Gegenstand weit von sich wegschleudert – einen Diskuswerfer zum Beispiel. Und so versuchst du, deine Sorge weit weg zu schleudern, himmelwärts hin zu Gott. Doch es ergeht dir wie mir bei den furchtbaren Bundesjugendspielen meiner Schulzeit: Es reicht einfach nicht. Oder es ist wie mit dem Spiel, bei dem der Ball an einem Gummiband befestigt ist: Je doller du wirfst, desto kräftiger kommt er zurück. Du willst die Sorge an Gott loswerden, betest entsprechend – und schläfst trotzdem schlecht; das Kopfkino, was alles passieren kann, schaltet sich einfach nicht ab. Und nun kommt zur Sorge auch noch das schlechte Gewissen, dass du wieder ein mal nicht genug glaubst, Gott nicht genug vertraust. Eigentlich müsstest du doch sorgenfrei, befreit und zuversichtlich im Glauben das gute Land einnehmen.
Was tun? Blicken wir noch einmal in unseren Bibelvers. Das Verb, Tätigkeitswort im griechischen Original, das hier mit ‚werfen‘ übersetzt ist, meint gar nicht den olympischen Weitwurf. Eine gute Nachricht für alle unsportlichen Typen. Sondern es findet sich zum Beispiel auch in Lukas 19,35: Dann führten die Jünger das Eselsfohlen zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Fohlen und halfen Jesus hinauf. Das ‚Werfen‘ meint eigentlich, dass man jemandem etwas auflegt. Hier sind es die Kleider als Sattel, in Psalm 55,23 steht das Bild vom Lastesel im Hintergrund: Wirf auf den HERRN deine Last, und er wird dich erhalten; er wird für ewig nicht zulassen, dass der Gerechte wankt.
Bleiben wir mal bei dem Bild vom Lastesel. Es geht darum, die Sorge / Last nicht mehr alleine herumzuschleppen, sondern sie Gott aufzulegen. Und dann ist sie nicht auf wundersame Weise verschwunden, sondern Gott trägt sie an unserer Seite. Er begleitet uns mit unserer Sorge. Ist diese Unterscheidung vielleicht Haarspalterei? Einerseits werfe ich Gott meine Sorge im Gebet zu, damit ich sie los bin. Die Erfahrung ist aber oft genug: Die Sorge verschwindet nicht. Oder andererseits lege ich Gott diese konkrete Sorge auf, er trägt sie an meiner Seite, an meiner Stelle. Die Entlastung geschieht dadurch, dass ich mich inmitten der Sorge von Gott gehalten und getragen weiß. Ich kann ihm die Situation sagen, die lieben Menschen anbefehlen. Die Sorge bleibt, weil die Situation, die Lage noch offen ist. Aber ich kann eher zu einer Gelassenheit finden, zu neuer Hoffnung, weil Gott die Last trägt. Ich muss sie nicht alleine tragen.
Denn er kümmert sich um euch. Das tut Gott, weil er uns im Leben begleitet – mit aller Sorge, die uns umtreibt und gefangen nehmen will. Die Freiheit der Kinder Gottes bedeutet an dieser Stelle nicht, dass wir die sorgenvolle Wirklichkeit schönreden, wegglauben, vergeistlichen. Sondern wir vertrauen uns dem an, der sie an unserer Seite trägt, uns in diesem Weg begleitet, uns Hoffnung und Gelassenheit schenkt. Dazu können wir uns herausfordern lassen.
Axel Schlüter