Streiten auf gemeinsamer Grundlage
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge,
sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
(Epheser 2,19))
Die etwas Älteren unter uns erinnern sich noch an das damals moderne Gemeindelied aus den 80ern „Vater, mach uns eins“ (Feiern & Loben 137 oder erstmals 1980 in Das gute Land von Jugend mit einer Mission). Im Dreivierteltakt mit viel innerer Bewegtheit zu singen. Das Lied bittet nach Johannes 17,21 um die Einheit der Christenheit als Zeugnis für diese Welt. Doch schon im zweiten Teil des Liedes wurde es mit der Einheit schwierig: „Siehe, wie fein und wie lieblich ist’s, wenn Brüder in Einheit zusammen sind.“ Zwar orientierte sich der Liederdichter an Psalm 133,1. Doch mit der aufkommenden Emanzipation und sogar einem (milden) Feminismus kam es der singenden Gemeinde etwas chauvinistisch und eben nicht zusammenführend vor, nur von den Brüdern zu singen. Da nützte die Information nichts, dass im Neuen Testament das Wort Brüder immer auch die Schwestern einschließt, also unserem Geschwister gleichkommt. G’schwister passte aber nicht so richtig in den Singrhythmus, so dass es fortan zwei Strophen gab, fein im Wechsel zwischen den Brüdern und Schwestern. Hat irgendwie auch nicht so richtig funktioniert.
Es ist gar nicht so einfach mit der Einheit. Es gibt genug, was uns Menschen voneinander trennt. Die Zersplitterung unserer Gesellschaft in viele unterschiedliche Gruppen wird durch Social Media, also durch die Online-Kommunikationsplattformen sehr befördert. Alle leben in ihrer Meinungs- und Informationsblase, ihrer Bubble, und haben wenig Kontakt zu Leuten mit anderer Überzeugung. Man könnte YouTube, Insta, TikTok & Co. eher die asozialen Medien nennen. Auch die Christenheit ist davor nicht bewahrt und mischt sogar kräftig mit. Man beachte nur die Kommentarspalten unter den YouTube-Videos von irgendwelchen frommen Meinungsmachern. Da geht es nicht um biblisch-sachliche Information und Meinungsbildung, sondern um Selbstvergewisserung, dass man mit seiner Überzeugung richtig liegt. Ich finde das ziemlich beängstigend.
Unser Wochenvers spricht hinein in eine sehr grundlegende Trennung der damaligen frommen Welt. Der Glaube an den einen Gott Israels war für viele Menschen im römischen Reich durchaus attraktiv. Da musste man sich nicht mit Göttern herumschlagen, die viel zu menschlich präsentiert wurden, launisch und unberechenbar waren und einem Angst machten. Son-dern es gab klare Regeln zur Gestaltung des Lebens, die als wirklich hilfreich empfunden wurden. Doch den letzten Schritt scheuten die meisten, nämlich ganz zum Judentum überzutreten. Ein Jude musste ein paar Kriterien erfüllen: mindestens Sabbatheiligung, Speisegebote und Beschneidung. Das war aus unterschiedlichen Gründen kaum umsetzbar.
Und so gab es in jeder Synagogengemeinde viele „Gottesfürchtige“, die zwar mitmachen durften, aber niemals zu vollwertigen Gemeindemitgliedern werden konnten. Sie blieben sozusagen lebens-lang als Zaungäste willkommen. Und in diese Lücke stieß jetzt die Gemeinschaft der NachfolgerInnen Jesu. Da konnte jede und jeder uneingeschränkt Teil der Gemeinde werden. Man durfte an den einen Gott Israels glauben – sogar mit der Erfüllung, dass der Messias bereits gekommen ist – und musste sich nicht mehr an die vielen jüdischen Gesetze halten. Ob mit jüdischem oder heidnischem (römisch-griechischem) Hintergrund: alle wurden eins in Christus.
Aber auch hier gilt: Es ist gar nicht so einfach mit der Einheit. Da blieben alte Überzeugungen am Leben. Etliche Judenchristen konnten nur schwer akzeptieren, dass die ehemaligen „Gottesfürchtigen“ ganz und gar dazugehörten, ohne erst Juden werden zu müssen. Und diese wiederum mussten erst den über Jahrhunderte antrainierten Minderwertigkeitskomplex loswerden, der ihnen immer wieder einredete, doch nicht so ganz dazuzugehören. In unserem Bibelwort aus Epheser 2,19-22 weist Paulus diese alten Überzeugungen zurück und macht unmissverständlich deutlich, dass in Jesus Christus alles anders geworden ist.
Ihr seid also nicht mehr Fremde und ohne Rechte in Israel. So war es früher, aber diese Zeit ist vorbei! Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft. In Gottes Haus (oikós) ist Platz für alle – unabhängig von ihrer Herkunft. Ihr seid gegründet auf dem Fundament der Apostel und Propheten, dessen Grundstein Christus Jesus ist. In Jesus kommt die Geschichte Israels (Propheten) und die der jungen Gemeinde (Apostel) zu einer Einheit zusammen. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten. So wächst er zu einem heiligen Tempel empor, der dem Herrn gehört. Den alten Tempel als Zentrum des Glaubens in Jerusalem braucht es nicht mehr, weil in Christus eine neue geistliche Wirklichkeit entstanden ist. Weil ihr zum Herrn gehört, werdet auch ihr als Bausteine in diesen Tempel eingefügt. Gott wohnt darin durch den Heiligen Geist. Die Gemeinde ist zuerst ein Gebilde im Heiligen Geist, wo alle, die zu Jesus gehören, zusammenleben und ein lebendiges Haus Gottes sind.
Soweit die Theorie. Leider gab und gibt es seitdem immer wieder neue Themen, an denen sich Streit und Uneinigkeit entzünden. Eigentlich sollte sich die Christenheit und jede Gemeinde-Gemeinschaft über diesen Zuspruch freuen und ihn zeugnishaft leben: In Christus seid ihr gleichberechtigte und gleichwertige Mitbewohner im Haus Gottes! Doch stattdessen wird sich über alles Mögliche und Unmögliche gestritten, sich auseinandergesetzt und bekriegt.
Das ist nicht schön und nicht zielführend. Umso mehr möchte ich uns ermutigen: Ohne Frage sind Diskussionen und manchmal auch Streit nötig. Doch sollte es nie dazu führen, dass wir uns diese Grundlage nicht mehr glauben: Du und ich sind Mitbürger in Gottes Hausgemeinschaft, weil unser gemeinsamer Grundstein Jesus Christus ist. Diese Einheit ist im Heiligen Geist vorgegeben und soll von uns gelebt werden. Gerade auch mit den Schwestern und Brüdern, deren Überzeugung ich so gar nicht verstehe und auch nicht teilen kann.
Axel Schlüter