Am Ende der Kraft

Mit Träumen ist das ja so eine Sache. Manche Leute versuchen sich in Traumdeutung, und da eröffnet sich ein weites Feld von frei drehender Wahrsagerei bis zum seriösen Versuch der Traumanalyse seit Sigmund Freud. Alles sehr umstritten, weil doch so wenig verlässlich greifbar. Manche Leute haben eine sehr lebendige Traumwelt bis hin zu Tagträumen. Andere schlafen wie ein Stein und bekommen nicht mit, wie ihre Seele des Nachts ein wenig aufräumt. Träume sind sicher nicht nur Schäume, sollten aber auch nicht überbewertet werden.

Manchmal können sie zu einem Hinweis Gottes werden, in aller Vorsicht und durch andere Eindrücke ergänzt. In der Bibel ist immer wieder von Träumen – Visionen – Gesichten die Rede, und sie sind ein Weg, wie Gott auch zu den Menschen redet. Träume oder Visionen sind ein Zeichen der Heilszeit, wenn der Geist Gottes ausgegossen ist (Joel 3,1-2). Von Paulus lesen wir, dass er hin und wieder solche Erlebnisse hatte (Apostelgeschichte 16,6-10). Im Neuen Testament kommt es eher selten vor, dass Gottes Geist durch Träume, Visionen, Gesichte redet. Es wird nicht abgelehnt, scheint aber keine besonders wichtige Rolle gespielt zu haben.

Vielleicht geht es dir auch so: Manchmal ist ein Traum so stark, dass man sich auch nach dem Aufwachen noch daran erinnert. Und genauso stark ist der Eindruck, dass ein Traum selten logisch ist. Da stehe ich an einer Meeresküste und gehe durch eine Tür, um gleich darauf im heimischen Wohnzimmer zu sein. Da werde ich von unheimlichen Wesen verfolgt, um gleich darauf mit der Familie in gemütlicher Runde ein Eis zu essen. Viel Spaß dabei, dem einen tieferen Sinn zu entlocken!

So ähnlich ergeht es uns, wenn wir die Visionen nachlesen, die in der Bibel aufgeschrieben wurden. Nach der Offenbarung am Ende des Neuen Testamentes und dem Buch Daniel ist da der erste Teil vom Sacharja-Buch zu nennen. Dort werden acht Nachtvisionen wiedergegeben – und sie sind mindestens genauso schwer zu deuten, wie ein Traum am frühen Morgen kurz vorm Weckerklingeln.

Unser Wochenvers ist aus der fünften Vision im Buch Sacharja, Kapitel 4. Wenn wir den Vers lesen, drängt sich ein „Was?“ auf: Was soll nicht durch menschliche Gewalt, sondern durch Gottes Geist geschehen? Im Zusammenhang ist die Rede von einem Leuchter, einer Schale, sieben Lampen, zwei Ölbäumen und noch ein paar weiteren Dingen. Das lädt natürlich ein, jedem dieser Dinge eine geheimnisvolle geistliche Bedeutung zu geben. Doch unterm Strich geht es um ein prophetisches Wort, das Serubbabel**, den jüdischen Statthalter des Perserkönigs in Jerusalem, ermutigen sollte, den Tempelneubau gegen alle Widerstände weiterzuführen. Damit ist das Was im Textzusammenhang erklärt: Die Vollendung des zwei­ten Tempels – symbolisiert durch den Schlussstein – ist ein Werk Gottes und wird deswegen gelingen. Und so ist es dann ja auch gekommen.

Nun gut. Das ist vielleicht biblisch-historisch interessant, hat uns aber heutzutage nicht mehr ganz so viel zu sagen. Außer vielleicht, man baut gerade einen Tempel, was wir aber wahrscheinlich nicht tun. Wir sind also herausgefordert, dieses Wort auf uns und unsere Situation zu übertragen. Wir wollen es als einen Zuspruch Gottes in unser Leben hören. Und da ist es doch sehr praktisch, dass das „Es“ am Anfang so unbestimmt ist. So zumindest in der Lutherübersetzung.

Was ist dein „Es“, wo du Ermutigung zum Gottesvertrauen brauchst? Wo du vielleicht gemerkt hast, dass du mit deinen menschlichen Möglichkeiten am Ende bist? Trotz aller Strategie und Einsatz gelingt es dir nicht, voran zu kommen. Oder die Zukunft ist so ungewiss, dass du nicht recht weißt, wie und wo am besten du deine Kräfte einsetzen solltest. Und nun hörst du die Zusage, dass der „HERR Zebaoth“ durch seinen Geist alles in der Hand hat und zum Gelingen führt. „Zebaoth“ ist die Mehrzahl von einer „Heerschar“, also einem Heer. Deshalb wird es auch mit „Herr der Heerscharen“ übersetzt. Was genau diese himmlischen Heerscharen sind, wird uns in der Bibel nicht verraten. Dieser Name betont aber die kosmische Macht Gottes, in dessen Hand die ganze Welt liegt.

Es wird demnach die menschliche Macht infrage gestellt (nicht durch Heer oder Kraft) und es wird auf Gottes Macht durch seinen Geist verwiesen. Vielleicht steht dir eine Situation vor Augen, wo du mit deinen menschlichen Möglichkeiten nicht weiterkommst, oder wo dir die Zukunft ganz ungewiss und angstmachend ist. Dann ermutigt dich dieses Wort Gottes, dich Gottes Geist und damit Macht anzuvertrauen. Und vielleicht wirst du dann am Ende sagen können: „Denn wer hat die kleinen Anfänge verachtet? Sie alle sollen sich freuen, wenn sie den Schlussstein in Serubbabels Hand sehen.“ (Sacharja 4,10)

Auch wenn in diesem prophetischen Wort allein Serubbabel namentlich genannt wird, ist deutlich, dass er nicht alleine gehandelt hat. Er brauch­te nicht nur die Unterstützung durch die Prophe­ten Sacharja oder Haggai, sondern auch die hingegebene Mithilfe der Jerusalemer Bevölkerung. Und so brauchen auch wir die Gemeinschaft, um ermutigt zu werden und den Glauben neu zu fassen. Ob in den Gottesdiensten oder über die Woche, wir dürfen einander begleiten, unterstützen und mittragen. Und das geschieht in Gebet und Fürbitte und ganz praktisch im Alltag.