Passionsandacht vom Do. 9. April. „Bin ich es, Herr?“

(in Anlehnung an eine Andacht von Pfr. Simone Mantei)

 

Und als es Abend geworden war, kommt er mit den Zwölfen. 18 Und während sie zu Tisch lagen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern, der, welcher mit mir isst. 19 Sie fingen an, betrübt zu werden und einer nach dem anderen zu ihm zu sagen: Doch nicht ich? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir das Brot in die Schüssel eintaucht. 21 Der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht. Wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird! Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre.

22 Und während sie aßen, nahm er Brot, segnete, brach und gab es ihnen und sprach: Nehmt, dies ist mein Leib! 23 Und er nahm einen Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr von dem Gewächs des Weinstocks trinken werde bis zu jenem Tag, da ich es neu trinken werde im Reich Gottes. 26 Und als sie ein Loblied gesungen hatten, gingen sie hinaus zum Ölberg.

(Mk 14,17-26)

 

Wie wenig hat diese Geschichte doch mit dem Abendmahl zu tun, wie wir es kennen. Markus erzählt uns nicht von einer andächtigen Gemeinschaft, sondern er erzählt eine Geschichte von Ernüchterung und Entsetzen. Lasst uns noch ein wenig bei dieser Geschichte bleiben und noch einmal in die Welt von damals eintauchen. Es war kurz vor dem Passahfest. Jerusalem war dicht gedrängt mit Pilgern. Aus allen Ecken des Landes waren sie in die Stadt geströmt. Dort, am Fuße des Tempels, wollten sie Passah feiern, das Fest der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Auch Jesus kam am Abend gemeinsam mit seinen Jüngern nach Jerusalem. Zwei von ihnen waren schon vorausgegangen, um alles für das Festessen zu richten. Ein Mann aus der Stadt hatte ihnen einen großen Raum überlassen. Dort lagen sie nun auf gemütlichen Kissen um einen niedrigen Tisch und genossen das Passahlamm. Die Anstrengung der letzten Tage fiel allmählich von ihnen ab. Während sie redeten und lachten, tauchten sie ihr Brot in die große Schüssel Fruchtmus, die auf dem Tisch stand.  „Einer von Euch“, sagt Jesus plötzlich, „wird mich ausliefern.“ Ihre Gesichter erstarren zu Stein. Ausliefern? Ihn, den sie lieben und bewundern, für den sie alles – ihre Familien, ihren Beruf und ihre Heimat – verlassen haben; ihn an die Machthaber ausliefern? „Ja“, sagt Jesus und schaut in die Runde, „wir sind uns so nah, dass wir aus einer Schüssel essen, und doch wird mich einer von Euch ausliefern.“ Der Bissen, den sie gerade kauen, will ihnen im Halse stecken bleiben. Verstohlen legen sie ihr Brot aus der Hand. Wer wollte es nun noch mit dem Meister in dieselbe Schüssel tauchen? Ausgerechnet einer von ihnen soll Jesus ausliefern. Kennen sie einander so wenig? Da sitzen sie nun. Und die, die eben noch ausgelassen miteinander gefeiert haben, sind sich plötzlich fremd. Ja, was weiß ich eigentlich von Simon Petrus, mag Thomas sich gefragt haben. Ich war nicht einmal dabei als Jesus seine Schwiegermutter vom Fieber geheilt hat. Hat Petrus eigentlich Kinder? Und was ist mit seiner Frau? Und warum habe ich ihn eigentlich nie danach gefragt? Die Gemeinschaft der Jünger bekommt durch die Worte Jesu einen Riss. Den Jüngern wird klar: So eingeschworen wie sie dachten, sind sie nicht. Sogar unter ihnen, den engsten Vertrauten Jesu, gibt es Fremdheit, ja sogar Verrat.  Doch nicht nur zu den anderen am Tisch stellt sich ein unbehagliches Gefühl ein. Keiner fragt: „Wer ist es denn, der dich ausliefern soll?“ oder sagt: „Judas, bestimmt ist es Judas, dem hab’ ich noch nie getraut!“. Im Gegenteil: „Bin ich es?“ fragt einer nach dem andern. Die Jünger misstrauten nicht nur den anderen, sondern mit einem mal auch sich selbst. Was vor fünf Minuten noch keiner für möglich gehalten hätte – ich doch nicht! – mit einem Mal ist nichts undenkbar. Die Fassade bröckelt. Die Jünger sehen sich nicht mehr nur, wie sie sein wollen – engste Freunde bis in den Tod – sondern auch so, wie sie nicht sein wollen und doch auch sind: feige, egoistisch, vielleicht sogar hinterhältig. Wenn ich ehrlich bin, mag ein jeder bei sich gedacht haben, dann bin ich mir nicht sicher, ob nicht vielleicht ich Jesus ausliefern werde – der Himmel weiß warum.

„Bin ich es?“ Diese Frage, lässt mich nicht los. Es ist für mich nicht nur die Frage nach dem Verräter. Ich denke, wer so fragt, sieht plötzlich eine Seite von sich, die er vorher so nicht wahrhaben wollte. Hier schaut sich jemand ehrlich, ungeschminkt ins Gesicht und fragt sich: Bin ich wirklich nur der, für den ich mich halte, oder habe ich nicht auch ganz andere Seiten? Solche Grenzerfahrungen, die mein Selbstbild hinterfragen, sie tun weh. „Das mach’ ich nie! So werde ich nie!“ Es braucht Mut, sich einzugestehen, dass es manchmal doch so kommen kann, wie man es eigentlich nicht haben wollte. Jede und jeder von uns kann an eigene Grenzen stoßen; so wie damals die Jünger Jesu. Ausgerechnet sie, die Apostel, auf die sich später die Kirche gründete, mussten sich fragen, ob sie wirklich die treuen Jünger waren, für die sie sich hielten. Sie, die als erste daran geglaubt hatten, dass Jesus der Messias ist, mussten erkennen, dass sie alle auch in der Lage waren, ihn preiszugeben. Doch an jenem Abend, als sich Ernüchterung und Enttäuschung breit machte, trat Jesus der Lähmung entgegen. Nicht der Fluch über den Verräter, der jeden von ihnen hätte treffen können, war an jenem Abend sein letztes Wort, sondern eine Geste der Versöhnung. Jesus griff zum Brot, gab jedem ein Stück und sagte: „Nehmt! Das ist mein Leib.“ Zunächst sah er vermutlich in ratlose Gesichter. Doch ehe sich einer besinnen, ihm gar widersprechen konnte, reichte Jesus auch den Kelch herum. Die Geste war so schlicht und zugleich so groß, dass keiner sich ihr entziehen konnte. Mit denen, die eben entsetzt über sich selbst waren, teilte einer das Brot. Die, die eben nicht mehr miteinander weiter essen konnten – nun tranken sie aus einem Becher. Jeder nahm einen Schluck, spürte wie er die Kehle entlang lief und hörte die Worte Jesu: „Das ist mein Blut des Bundes“. Die Jünger verstanden vielleicht nicht genau, was er damit sagen wollte. Aber Sie ahnten, dass dies ihre letzte Mahlzeit mit ihm war. Und sie spürten, dass es bei aller Trauer und Ernüchterung etwas gab, das sie trug und tröstete. Jesus hatte in Brot und Wein einen Bund gestiftet, Gemeinschaft untereinander und mit ihm; Eine Verbindung die größer war als alles Gelingen und tiefer als alles Scheitern – ja, die sogar über den Tod hinaus reichte.  Das erste Abendmahl, keine ausgelassene Festgesellschaft, kein harmonisches Festessen. Und doch: Genau diese Geschichte ist der Ursprung unserer Tradition. Das Abendmahl, das neue Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen, schafft offenbar eine andere Gemeinschaft. Hier essen und trinken Menschen, die sich gegenseitig und auch sich selbst manchmal fremd sind. Denn nicht wir sind es, sondern Jesus Christus ist es, der inmitten unserer Entfremdung den ersten, erlösenden Schritt macht, uns Brot und Wein reicht und Gemeinschaft stiftet. Er weiß um unsere Grenzen – und lädt uns trotzdem an seinen Tisch. „Du darfst kommen, so wie Du bist“, sagt er, „Du musst nicht so bleiben wie du bist.“ So können wir in Brot und Wein riechen, fühlen und schmecken, dass Gott es gut mit uns meint und sein Bund uns trägt. Das Abendmahl, es will uns stärken, damit wir danach, wie einst die Jünger getröstet und zuversichtlich einstimmen können in den Lobgesang zur Ehre Gottes, weil er wunderbar an uns gehandelt hat.

 

Seht, das Lamm, es trägt die Sünde der Welt!

Christe, du Lamm Gottes,
der du trägst die Sünd der Welt,
erbarm dich unser.

Christe, du Lamm Gottes,
der du trägst die Sünd der Welt,
erbarm dich unser.

Christe, du Lamm Gottes,
der du trägst die Sünd der Welt,
gib uns deinen Frieden.

Amen.

Ana Kadira