Heilsbringer

Wenn jemand – so wie ich gerade – ein Bibelwort auslegen möchte, muss er/sie eine Entscheidung treffen. Man kann einen Vers nehmen und dann freischwebend das erzählen, was einem gerade dazu einfällt. Das kann vom Heiligen Geist geleitet sein und wird so für die Zuhörer oder Andachtsleser zum Wort Gottes. Das ist schön. Man kann aber auch das Wagnis eingehen, erst einmal den Kontext zu berücksichtigen, also das zu lesen, was sonst noch um den Vers herum in der Bibel steht. Und was Gott anderen gezeigt hat, muss er mir ja nicht mehr offenbaren. So schadet ein Blick in ein oder auch zwei Kommentare und sonstige Studienmaterialien keineswegs. Es ergibt sich in der Regel ein etwas erweitertes Verständnis, das sich beim ersten Lesen nicht erschlossen hätte.

Spannender ist auf jeden Fall die zweite Version, und irgendwie finde ich es auch angemessener dem Wort Jesu gegenüber. Nehmen wir also das Drumherum zu unserem Wochenvers in den Blick: In den Versen 1-16 von Lukas 10 sendet Jesus 72 Jünger immer zu zweit in die umliegenden Städte und Dörfer. Sie sollen seinen Besuch vorbereiten, indem sie Hausgemeinschaften aufsuchen, dort die Kranken heilen und das Reich Gottes verkünden. Und in den Versen 17-24 erzählen die Jünger nach der ganzen Aktion von ihren Erfahrungen, und Jesus bringt seine Freude zum Ausdruck, dass sie live dabei sind bei der Ausbreitung des Reiches Gottes.

So weit, so gut. Etwas irritierend ist nur, dass über dem Ganzen eine gewisse „Gerichtsstimmung“ liegt. Es kommt mir so vor wie bei einer Wanderung in den Bergen. Man zieht fröhlich bei Sonnenschein los und freut sich auf die Landschaft und die guten Gespräche beim Wandern. Doch geht der Blick auch zu den dunklen Wolken, die sich hinter einer Bergkette auftürmen. Werden sie herüberziehen, wird es Regen, Blitz und Donner geben? Nun kann man bei einem Ausflug wieder umkehren oder irgendwo einkehren. Was aber, wenn es nötig ist, den Weg weiterzugehen, weil das Ziel erreicht werden muss?

So ähnlich bereitet Jesus seine Jünger für ihre Wanderung vor. Es kann sein, dass sie freundlich in den Häusern aufgenommen werden. Dann können sie den Schalom, den Frieden Gottes dort hineinbringen, Heilung, die gute Nachricht. Segensleute sein. Doch wenn sie nicht aufgenommen werden, sie sozusagen in ein ablehnendes Gewitter geraten, dann sollen sie weiterziehen und die Stadt sich selbst überlassen in ihrer Gottesferne. Und das hat dann noch eine weitere Dimension – und da passt das Bild von der Wanderung in den Bergen nicht mehr. Die Jünger bringen das Heil Gottes – wenn die Leute positiv reagieren. Sie bringen aber auch das Gericht Gottes, wenn die Leute sie ablehnen.

Das sagt Jesus sehr deutlich in den Versen 12-15. Chorazin, Bethsaida und Kafarnaum waren mehr oder weniger unbedeutende kleine jüdische Dörfer am Nordufer vom See Genezareth. Also die Dörfer, die die Jünger besuchen werden. Tyrus und Sidon waren berühmte nichtjüdische phönizische Hafenstädte am Mittelmeer, die für einen gottlosen „heidnischen“ Lebenswandel standen – fast wie Sodom. Der Kontrast könnte also größer nicht sein: Die Gottlosen kommen im Gericht Gottes wesentlich besser weg als die eigentlich Frommen. Denn die Jünger sind nicht nur umherwandernde Prediger mit der Gabe der Krankenheilung, sondern sie sind Boten und damit Stellvertreter Jesu. Das wird von Jesus in unserem Wochenvers auf den Punkt gebracht: Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.

Wie können wir das für unsere Jüngerschaft heute hören? Wenn wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu den Menschen unserer Umgebung begegnen? Mir fällt auf, dass die Jünger in keiner Weise als Gerichtspropheten unterwegs sind. Sie sollen die Gemeinschaft mit den Leuten suchen. Und wenn sie aufgenommen werden, bringen sie den Schalom Gottes, bringen Heil und Heilung. Das ist ein grundsätzlich positiver Zugang, denn sie sind Stellvertreter Jesu, dessen Liebe den Menschen gilt. Wenn sie aber nicht aufgenommen werden, haben sie keinen Fluch und kein Urteil. Sondern sie weisen darauf hin, dass Gottes Gegenwart trotzdem da ist (Das Reich Gottes ist nahe.). Und sie lassen die Menschen in ihrer Verantwortung vor Gott (Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück.). Lukas 10,11 Das Gericht über diese Ablehnung ist Gottes Sache am Ende der Zeiten. Damit haben wir schon heute nichts zu tun.

Mich ermutigen diese Worte Jesu, meinen Mitmenschen als Friedensbringer Gottes zu begegnen. Da ist eine Traurigkeit, dass es so viele nicht an sich heranlassen, dass Gott ihnen ganz nahe ist. Doch soll das nicht dazu führen, dass ich jemanden ablehne oder verurteile. Sondern umso mehr wünsche ich jedem Heil und Heilung von unserem Herrn. Doch die Verantwortung, ob jemand auf Gottes Anrede antwortet, liegt nicht bei mir. Mein Auftrag ist: Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wir sollten einen wichtigen Hinweis nicht übersehen: Nach Vers 1 sollen wir die Menschen nur darauf vorbereiten, dass Jesus als der eigentliche Besucher noch vorbeischauen wird. Wie gut!

Der Friede Gottes mit seinem Heil und Heilung soll in unserem Gemeindeleben erfahrbar werden. Das beginnt schon mit der Art und Weise, wie wir einander und den Menschen unserer Umgebung begegnen. Darauf wollen wir achten und eine angemessene Umgangsweise pflegen.

Ich wünsche dir eine gesegnete Woche!

Axel Schlüter