Mit Gitarren-Stickern in den Himmel

Der Menschensohn ist gekommen,
zu suchen und selig zu machen,
was verloren ist.

(Lukas 19,10)

Das Foto zeigt meine erste Gitarre, die ich mit 12 Jahren zum Gitarrenunterricht geschenkt bekommen habe. Klassikgitarre war nicht so mein Ding, so dass dieses Experiment schnell beendet wurde. Dafür ging es später dann umso besser los in der Jugendgruppe. Um den richtigen Eindruck zu hinterlassen, waren in den Siebzigern natürlich die passenden Aufkleber nötig. New Life in Jesus war voll angesagt oder Nur bei Jesus gibt es ein erfülltes Leben.

Ich erinnere mich auch noch an einen Aufkleber mit der drängenden Frage: Wo wirst du die Ewigkeit verbringen? Der fand aber offensichtlich nicht den Weg auf meine Gitarre. Das wäre aber durchaus möglich gewesen, weil ich die Überzeugung, die sich hinter dieser Frage verbirgt, durchaus geteilt habe. Und die kann man kurzgefasst so wiedergeben: Wer sich nicht zu Jesus bekehrt, der geht in Ewigkeit verloren. Das war dann durchaus eine Motivation, um meinen Schulfreunden etwas vom Glauben zu erzählen, auch wenn ich es damit nicht übertrieben habe. (Denn der Wunsch dazuzugehören war auf jeden Fall größer, als das Risiko einzugehen, als eigenartiger Kauz dazustehen.)

Seitdem sind etliche Jahrzehnte vergangen, und ich kann die Frage nicht mehr so einfach beantworten, wie ich das damals getan hätte. Dafür gibt es Gründe. Ich will ein paar aufzählen, ohne dass sie in eine zeitliche Reihenfolge gehören.

In der Zwischenzeit habe ich so viele Christen aus unterschiedlichen Kirchen und Konfessionen kennengelernt, dass ich nicht mehr so selbstbewusst sagen würde, wie eine angemessene Bekehrung aussehen müsste. Das Volk Gottes ist doch um einiges bunter, als ich es mir in meiner jugendlichen Naivität vorgestellt hatte. Wer bin ich, Mitchristen den Glauben abzusprechen, nur weil sie nicht in mein Bild passen? (Johannes 10,14-16)

Und schon der Begriff „Bekehrung“ will mir nicht mehr so schnell über die Lippen kommen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass man sich nicht bekehren kann – als eigenes Tun. Sondern wir antworten auf das, was Gott in unserem Leben getan hat. Anders gesagt: Glaube ist Antwort auf die Anrede Jesu als dem auferstandenen und erhöhten Herrn – wie auch immer sie uns erreicht. Der Ruf Jesu: Kehrt um und glaubt an das Evangelium! (Markus 1,15) geht meinem Tun voraus.

Nun gibt es in der Bibel die dramatische Ansage Jesu vom Endgericht in Matthäus 25,31-46, wo sich alle Menschen vor Gott verantworten müssen und schließlich eingeteilt werden in die Gerechten (Geretteten) und die Verfluchten (Verlorenen). Doch gerade dieser Text sagt überhaupt nichts von Bekehrung nach dem Muster der Vier geistlichen Gesetze. Sondern die Kriterien für das Urteil Gottes sind allein sozialdiakonische Taten: Hungrigen zu essen geben, Durstigen zu trinken, Fremde aufzunehmen, Nackten Kleidung zu geben, Kranke und Gefangene zu besuchen. Das will nicht so recht zu einem einfachen Mechanismus passen mit Schritt eins bis vier, und dann bist du gerettet.

Oft genug bin ich erschüttert, wie leicht es manchen Mitchristen fällt, andere Menschen in die Hölle zu schicken. Wer sein Leben nicht Jesus anvertraut hat – so, wie sie es verstehen –, ist geliefert. Ganz einfach. Es gibt da nur ein Problem, das nicht nur rechnerisch auftaucht, sondern auch ganz viel mit Gottes Gerechtigkeit zu tun hat. Nur ein sehr geringer Prozentsatz aller Menschen, die je gelebt haben, hatten überhaupt die Chance, das Evangelium von Jesus Christus gesagt (und vor­gelebt) zu bekommen. So dass sie nicht nur Christentum oder Kirche verstanden haben, sondern tatsächlich Jesus als dem Auferstandenen begegnet sind. Gottes Gerechtigkeit bedeutet, dass Gott jedem gerecht das zukommen lässt, was ihm angemessen ist. Und weil Gott gerecht ist, kann er nicht 95 Prozent der Menschheit in die Hölle schicken, die nie die Möglichkeit zur Umkehr bekommen hatten. Da vertraue ich ganz auf die Liebe und Gerechtigkeit Gottes, der durchaus in der Lage ist, mit diesem Problem fürsorglich umzugehen. ***

Nach diesem langen Anlauf kommen nun zu unserem Wochenvers Lukas 19,10: Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Dieser Vers schließt die bekannte Geschichte von Jesus und dem Zöllner Zachäus in Jericho ab (Lukas 19,1-10). Und auch hier wird schnell deutlich, dass „verloren“ erst einmal wenig mit der Ewigkeit zu tun hat. Sondern es meint die Menschen, die von ihrer frommen Umwelt verloren gegeben wurden (V.7). Und die sich deswegen auch vor Gott als verloren angesehen haben. Anders gesagt: Da gab es Menschen, die als „Sünder“ galten, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllt haben. Diese Maßstäbe wurden von den „Gerechten“ aufgestellt, die damit ihr Verständnis vom Glauben zum Ausdruck brachten. Wer so oder so ist oder lebt kann nicht zu Gott gehören. Und alle waren sich darin einig. Auch die „Verlorenen“ stimmten zu.

Bis Jesus kam und dieses Gesetz aufgebrochen hat. Er als der „Menschensohn“ – so bezeichnete Jesus sich selbst – suchte die Verlorenen auf und rettete sie. Und Rettung bedeutet bis heute, dass jemand vor Gott in Ordnung kommt, in der Liebe Gottes lebt – und sich auch so wahrnimmt.

Das bedeutet für mich persönlich, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen will, wer denn nun in der Ewigkeit gerettet ist oder in der Hölle landet. Das kann ich ganz und gar der Liebe und Gerechtigkeit Gottes überlassen. Sondern ich möchte viel mehr die „Verlorenen“ zu Jesus einladen. Die Verlorenen, die womöglich aus der Ablehnung der Frommen den Schluss gezogen haben, dass auch Gott sie ablehnt. Nein, sie sind eingeladen, weil Jesus ihnen wie zu Zachäus sagt: Ich muss heute in deinem Haus einkehren.

Axel Schlüter